Mi., 2. Dezember 2015, 18:30 Uhr
Hörsaal S1, Schloss

Weltflüchtlingsmacht Deutschland

Die inneren Unkosten des ‚moralischen Imperia­lismus‘ der Kanzlerin und die nationa­listische Ableh­nung, die sie dafür kassiert

Vortrag und Diskussion

„Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschul­digen zu müssen dafür, dass wir in Not­situa­tionen ein freund­liches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“

Angela Merkel am 15.9.2015

Eben doch! Exakt dieses Land regiert Merkel seit über 10 Jahren – nach guter demokra­tischer Sitte mit Zustimmung ihrer Wähler. Sie soll also nicht so tun, als ob „mein Land“ und die Politik, mit der sie es macht­voll „gestaltet“, mit der Ablehnungs­front nichts zu tun haben, auf die ihr „freundliches Gesicht“ deutschlandweit trifft. Sie weiß es auch besser: Täglich ent­schuldigt sie sich seit ihrer forschen Äußerung für das, was sie also selbst für eine Zumutung für „mein Land“ hält, das man offen­sichtlich nicht so leicht lieben kann ohne Miss­gunst gegenüber Fremden. Die Gründe dafür kennt sie nicht nur – gemeinhin ist sie auf die auch sehr stolz. Sie sind nämlich ihr Werk:

Sie hat ihr Land kompromiss­los und erfolg­reich auf den Anspruch getrimmt, einen ganzen Konti­nent ökono­misch und poli­tisch anzu­führen und auf dieser Basis in der ersten Liga der Welt­mächte mit­zuspielen. Dem sind unter ihrer Führung alle Lebens­verhält­nisse unter­worfen worden – mit den bekannten Resul­taten, zu denen u.a. gehört, dass die staat­liche Fest­legung eines Mindest­lohns als soziale Wohl­tat gefeiert wird, weil das Ergattern irgend­eines sozial­versicherungs­trächtigen Tarif­lohn-Jobs inzwischen als Inbegriff eines seltenen Glücks gilt; dass die Aussicht auf einen finan­ziell abge­sicherten Lebens­abend als Traum ver­gangener Genera­tionen ad acta gelegt ist; dass die zunehmende Not ihres voll­beschäftig­ten Volkes, sich irgend­eine bezahl­bare Wohnung leisten zu können, zum Dauer­brenner aller Wahl­kämpfe wird; dass die Drangsal von Eltern mit zwei bis drei Jobs, ihre Kinder irgendwo abzu­stellen, den Staat zur Formu­lierung eines Rechts auf einen Kita-Platz nötigt …

Aber nicht nur die Leistung, ihre lieben Deutschen systema­tisch in eine immer gnaden­losere Konkurrenz um immer härtere Lebens- und Arbeits­bedingungen gehetzt zu haben, darf sich die Kanz­lerin zurechnen. Auch für die Erziehung dieses Volks von erbitter­ten Konkurren­ten zu einem Haufen von Nationa­listen, die allen anderen noch viel weniger gönnen als sich unter­einander, hat sie viel getan: Spätestens seit der Euro-Krise hetzt sie die Deutschen perma­nent dazu auf, sich die erzwungenen Glanz­leistungen in Sachen Arbeiten, Verzichten, Sparen als das Recht auf ein deutsches Regiment über den Rest der europä­ischen Staaten ein­zubilden, also die imperia­listische Führungs­rolle der Nation als Über­legenheit ihrer tugend­haften Herren­menschen über die minder­wertigen europä­ischen Völker abzu­feiern. Diese Kanzlerin soll jetzt nicht so tun, als ob sie sich darüber wundert, dass ihr Volk sich nun auch gegen­über den Flücht­lingen genauso aufführt, wie es gute deutsche Sitte ist: sie als Konkurren­ten um schlecht bezahlte Arbeit und kaum bezahl­bare Wohnungen beargwöhnt und als unerträg­liche Fremd­körper im nationalen Herren­kollektiv ver­achtet.

In Deutschland 2015 haben National­stolz und sein Zwilling, der Ausländer­hass, keinen Platz? Ein schlechter Witz. Für Flüchtlings­freunde sollte die staat­liche Will­kommens­kultur also kein Grund sein, „Mama Merkel“ gut zu finden, nur weil ihnen das Gros „besorgter deutscher Patrioten“ aktuell noch ganz anders Angst macht als die Politik ihrer Chefin. Denn nur im Vergleich zu dieser gegen die neuen Fremden nationa­listisch auf­gehetzten Meute von Kon­kurrenten ist Merkels „Gesicht“ über­haupt so etwas wie „freundlich“ – und billig zu haben obendrein. Als ihre mora­lische Haltung besteht es nämlich bloß darin, die herren­mäßige Ve­rachtung fremder Elends­gestalten in die von der gleichen herren­mäßigen Warte aus ge­fühlte mit­leidige Herab­lassung gegen­über diesen Elenden umzupolen. Und als ihre prak­tische Politik ist es erst recht alles andere als einfach nur „freundlich“: Unüber­sehbar geht „das freund­liche Gesicht“ mit dem Auf­trumpfen der deutschen Macht in und über Europa einher, die an den Flücht­lingen den unerbitt­lichen Willen vorführt, die Agenda zu defi­nieren, um die sich Europa- und Welt­politik ge­fälligst zu drehen haben.

Für uns ist es jeden­falls der Grund, danach zu fragen, für welche Zwecke die Führungs­riege der Republik sich und ihrem Volk dermaßen viele Fremde zumutet – schon weil wir keinen Anhalts­punkt dafür gefunden haben, dass dieses Deutschland angesichts von ein paar Hundert­tausend Flücht­lingen von seinem Nationa­lismus und seinem Imperia­lismus auch nur einen Deut abrückt.