Mittwoch, 4. November 2015, 18:30 Uhr
Hörsaal S1, Schloss

Weltflüchtlingsmacht Deutschland

Die politische Offensive, die die deutsche Regierung aus dem Elend der Welt zu machen versteht

Vortrag und Diskussion

Die Republik spendiert sich wieder ein „Sommer­märchen“. Die Regierung lässt Flücht­linge ins Land und die kommen in hellen Scharen; Ein­heimische mit und ohne Deutsch­land­fähnchen beklatschen an­kommende Elends­gestalten auf Bahn­höfen, reichen Wasser und Brezeln, und die Flücht­linge be­klatschen die Begrüßungs­komitees. Die Kanzlerin erklärt, dass Deutsch­land sich das „freundliche Gesicht“ schuldig sei, das es Menschen in Not in diesem Spät­sommer zeigt; Ein­spruch gegen diese „Willkommens­kultur“ angesichts der Lasten und Prob­leme, die mit der Massen­einwanderung auf Kommunen, Ver­waltung und Staats­kasse zukommen, lässt sie nicht gelten: „Wir schaffen das!“

Das Urteil über diese Wende der deutschen Asyl­politik und der regen Volks­betei­ligung daran ist in einer Hinsicht ein­hellig: Ein­heimische und inter­nationale Wort­meldungen sind sich – im Guten wie im Schlimmen – sicher, dass hier die Moral über die Politik, Humanis­mus und Menschen­recht über natio­nale Interessen und ökono­misches Kalkül gesiegt haben.

Die einen finden das sehr gut: Endlich widmet sich die Politik ihrer vor­nehmsten, nie ernst ge­nommenen Aufgabe und kümmert sich be­rechnungs­los um Menschen, die dringend Hilfe brauchen – anstatt sie durch Ab­schottungs­politik fern­zuhalten, sie als Last oder nur nach ihrem ökono­mischen Wert zu taxieren. Die „Refugees welcome – Bewegung“ und „Pro Asyl“ wissen nicht recht, ob sie ihr Ziel erreicht, näm­lich die Bundes­regierung zum Partner für eine „Welt ohne Grenzen“ ge­wonnen haben, oder ob sie der natio­nalen Selbst­losigkeit, die sie mögen, nicht trauen dürfen.

Die anderen finden das furcht­bar: Sie werfen Merkel vor, das deutsche Volk zu ver­raten und einem inter­nationalen „Gut­menschen­tum“ zu opfern. Britische Zeitun­gen erklären sie zur Chefin eines „Hippie-Staats“, der sich von Emo­tionen statt von ver­ständigen National­interessen be­stimmen lässt: Es sei ver­antwortungs­los, Mitleid zur Leit­linie des Staats­handelns zu machen.

Dass die Regie­rung nach einer Woche offener Grenzen dazu über­geht, die Flücht­lings­ströme wieder zu kanali­sieren und die Migranten – strenger sogar als vorher – in berech­tigte und unberech­tigte Bewer­ber zu sortie­ren, beklagen die einen als Ab­kehr von den guten Werken der Flücht­lings­betreuung, die das reiche Deutsch­land sich doch leisten könnte und sollte; die anderen begrüßen dasselbe als spätes Ein­geständ­nis, dass Merkels Ein­ladung an die Müh­seligen und Beladenen dieser Welt eben doch ein poli­tischer Black­out gewesen ist.

Den entgegen­gesetzten Stellung­nahmen entgeht eines: Wenn eine Macht wie Deutsch­land Flüchtlingen hilft, wenn sie Ver­ant­wortung für bedrohte und ent­wurzelte Bürger anderer Staaten be­ansprucht und über­nimmt und sich damit selbst zu ihrer Schutz­macht beruft, dann ist diese Hoch­herzigkeit ein ganzes außen­politisches Programm – und nicht etwa Moral statt Staats­kalkül. Mit dem globalen Flüchtlings­problem betreibt die Regie­rung natio­nale, euro­päische und Welt­politik. Sie ver­pflichtet die Nachbar­staaten auf ihren deutschen Zuständig­keits­stand­punkt und mischt sich in die Kriegs- und Gewalt­fragen der anderen Welt­mächte ein, denen sie vor­wirft, die Flücht­lings­ströme zu erzeugen. Vom imperia­listischen Charak­ter der guten Tat handelt unsere Ver­an­staltung.

Wir? Schaffen? Das? Zu klären ist also auch, von welchen „Grenzen der Belast­barkeit“ die Rede ist, wenn Merkel und Seehofer darüber streiten, ob die „Inte­gration“ der Flücht­linge über­haupt gelingen kann. Eine weitere Million aus­ländi­scher Neu­bürger in den Arbeits- und Wohnungs­markt der deutschen Konkurrenz­gesell­schaft so einzu­bauen, dass sich an unserem geilen Land ja nichts ändert: An diesem Ver­sprechen wollen die regie­renden von ihren regier­ten Patrioten ge­messen werden. Nicht ob diese Leute integrier­bar sind, sondern in welches System hinein sie inte­griert werden sollen: Darüber wollen wir auf der Ver­anstaltung disku­tieren.